Wahrnehmung und Anerkennung

Der Fokus im zweiten Akt, Re: Kognitionen (im Juli 2021)
liegt auf dem Wechselspiel von Erkenntnis und Wahrnehmung. Ganz da in der Nähe liegt auch das Themenfeld der Anerkennung, recognition im Englischen.

Axel Honneth schreibt dazu, „Im Kapitalismus der Gegenwart scheint ein wachsender Teil der Bevölkerung von jeder Möglichkeit abgeschnitten, überhaupt nur Zugang zu den achtungssichernden Sphären der Erwerbswirtschaft und des Rechtssystems zu gewinnen, während der andere, sich darin befindende Teil aus den hier gewährten Entlohnungen in immer geringerem Maße soziale Anerkennung zu schöpfen vermag, weil sich die zugrunde liegenden Prinzipien verunklart oder verdunkelt haben. (…) Soziale Konflikte entstehen (…) dort, wo Menschen glauben, in Ansprüchen benachteiligt oder beschnitten zu werden, die sie im Lichte von allgemein akzeptierten Prinzipien für gerechtfertigt halten. Auf der Grundlage ihrer eigenen normativen Prinzipien kann so in der Gesellschaft eine soziale Dynamik entfacht werden, die auf die Verwirklichung eines in ihr selbst angelegten Potenzials auf moralischen Fortschritt drängt. (…) Das Gemeinsame an diesen verschiedenen Formen des sozialen Konflikts ist jeweils der Ausgang von einer moralischen Empörung, die aus der Erfahrung stammt, nicht in der Weise anerkannt zu werden, wie es die institutionell verankerten Prinzipien nach eigener Auffassung gerechtfertigt erscheinen lassen. Daher vollzieht sich der Kampf um Anerkennung gewöhnlich in Form von Auseinandersetzungen um die Interpretation und Durchsetzung eines historisch noch uneingelösten Anerkennungsversprechens. Nicht beliebige Ansprüche werden geltend gemacht, nicht irgendwelche Forderungen nach Anerkennung erhoben, sondern nur solche, die im Lichte gemeinsam geteilter Überzeugungen und Normen als intersubjektiv begründungsfähig gelten können. (…) Ein wachsender Kreis von Personen hat als „Unterklasse“, bestehend aus Unterbeschäftigten, Schulabbrechern und „illegalen“ Ausländern, überhaupt keinen Zugang zum Rechtssystem oder zur Wirtschaftssphäre, im schlimmsten Fall sind beide Anerkennungssphären gleichzeitig verschlossen. Eine andere, ebenfalls wachsende Gruppe von Gesellschaftsmitgliedern, bestehend vor allem aus prekarisiert Beschäftigten und alleinerziehenden Müttern, verfügt zwar über Teilnahmechancen an allen drei Sphären der Anerkennung, kann aber aus dieser Teilnahme kaum mehr irgendeine stabile Form von Selbstachtung beziehen, weil die Beschäftigungsverhältnisse zu durchlöchert und fragmentiert, die Familienverhältnisse zu zerrüttet oder beziehungsarm sind. Nur ein dritter, immer geringer werdender Kreis von Personen kann unbeschränkt an den Teilsystemen der Familie, des Rechts und der Wirtschaft partizipieren, ohne die dadurch erhaltene Anerkennung allerdings noch als eine Einbeziehung in die Gesellschaft zu verstehen, weil die entsprechenden Statusmittel verstärkt zur Befestigung von gegen die anderen Gruppen gerichteten Barrieren genutzt werden. (…) Über Rechte zu verfügen bedeutet immer weniger, sich einer wechselseitig eingeräumten Ermächtigung zur individuellen Freiheit zu erfreuen, sondern beinhaltet vor allem, die Begehrlichkeiten anderer mit legitimen Mitteln zurückweisen zu können.“

siehe https://www.bpb.de/apuz/33577/verwilderungen-kampf-um-anerkennung-im-fruehen-21-jahrhundert?p=all

Von Stephanie Hanna

Stephanie Hanna ist bildende Künstlerin, Szenografin und somatische Bewegungspädagogin in Ausbildung. Sie wuchs in Charlottenburg auf und besuchte von 1982 bis 1988 Schulen in der Nähe vom Steinplatz. In ihren jüngeren künstlerischen Arbeiten erkundet sie körperliche Wahrnehmungsschulung als Ansatz, aus Wiederholungen von bekannten Mustern, Verhaltens- und Denkweisen auszusteigen. Ihre Arbeiten beziehen sich oft metaphorisch und manchmal auch sehr praktisch auf eine gesellschaftliche Realität.